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Was ist eigentlich eine Mutter?

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Seitdem Polly auf der Welt ist mache ich mehrmals in der Woche das, was Menschen in Elternzeit mit Abstand am meisten tun: ich gehe im Kiez spazieren; gerne mit einer befreundeten Mutter. Wir stromern dann durch den Prenzlauer Berg, jammern viel rum, reden aneinander vorbei, weil unsere Babys uns ablenken und haben am Ende jedes Treffens meistens vergessen, worüber wir eigentlich gesprochen haben. Trotzdem tun diese Treffen uns sehr gut. Seit Kurzem gehen wir nun auch auf Spielplätze. Nicht, weil unsere Kinder das schon großartig interessiert, sondern weil es einfach niedlich ist, sie in den Sandkasten zu setzen, gemeinsam ein wenig zu buddeln und sie am Sandessen zu hindern.

Wir machen natürlich auch viele Fotos von diesen Playdates, wie man neudeutsch sagt. So auch bei einem Treffen vergangene Woche.

Als sich später an dem Tag, nach dem Treffen, zuhause auf der Couch lag, schickte meine Freundin mir ihre Bilder laut pingend via WhatsApp zu und ich schaute sie lächelnd durch. Polly unbeeindruckt mit Sand im Mund. Polly mit Pokerface auf der Schaukel. Polly und ich im herbstlich feuchten, dunklen Sand sitzend, sie auf meinem Schoß, herrlich desinteressiert dreinblickend. Ich hatte bisher alle Bilder verzückt zwar, aber relativ flott durchgewischt, als beim letzten Motiv mein Zeigefinger plötzlich kurz über dem Smartphone in der Luft schwebend innehielt. Da war ich und da war, auf meinem Schoß, meine kleine Tochter. Es traf mich wie ein Schlag. Ich hatte plötzlich das Gefühl, dass ich mich zum ersten Mal so sah, wie mich alle Welt schon seit sieben Monaten sieht: als Mutter.

Es ist mir noch immer nicht klar, warum gerade dieses Motiv mich so zum Nachdenken brachte. Bilder von mir und Polly gibt es zuhauf. Wir halten jeden Augenschlag unserer Tochter mit dem Smartphone fest (man wird so, es gibt kein Entkommen!). Vielleicht lag es am Alltäglichen dieses Motivs. Eine Szene, die mir selbst so oft schon begegnete: Mutter mit Tochter bzw. Sohn im Sandkasten. Vielleicht lag es aber auch daran, dass Spielplatzbesuche für mich immer irgendwie der nächste Schritt auf der Eltern-Leiter waren. Nach Kinderwagen schieben und Stillen und gefolgt von Kind isst am Tisch mit und geht in die Kita. Woran es auch lag, das Foto von uns beiden stülpte mir auf ganz eindeutige Weise die Rolle über, mit deren Identifikation sich so viele unabhängige und selbstbewusste Frauen schwertun. Und die auch ich nicht immer leicht über die Lippen bringe, wenn ich von mir spreche: Mutter.

Plötzlich fiel mir eine Episode aus diesem Sommer ein: „Mutter möchte ich nicht genannt werden, das klingt so hart und altbacken“, sagte mir da eine Freundin in Wien. Wie sie denn lieber genannt werden wolle, fragte ich. „Mama“, erwiderte sie direkt. Ja, Mama, das klingt weicher, kindlicher, lieber. 

Sicher, man kann hier semantische Diskussionen anfeuern, aber diese Fragen, was denn nun eine Mutter sei, was uns zur Mutter macht, gehen doch noch viel tiefer.

Es geht um Selbstwahrnehmung, Emanzipation und Diversität. Es geht um gesellschaftliche Rollen und Klischees. Es geht um Vorurteile und darum, wie schwer es ist, jahrzehntelang Vorgelebtes zu verlernen. Denn erfreut hat es mich irgendwie nicht, als mich die Mutter-Erkenntnis überkam. Wir müssen hier meine Tochter allerdings ausklammern. Sie ist das Tollste, was ich habe und ich bereue nichts. Es ist dieses seltsame Muttersein, das mir Magenschmerzen bereitet. Ich möchte nicht anders betrachtet werden, möchte nicht auf einmal jemand anders sein nur, weil ich nun ein Kind habe. 

Denn was die Gesellschaft noch immer zum großen Teil unter einer Mutter versteht, das ist eine Rolle, für die ich nicht vorgesprochen habe und die meiner Meinung nach noch einiges an Tiefe und mehr Charakterzüge vertragen kann. Unser Verständnis von Mutter ist noch immer: die Gebärende, weiblich, heteronormativ, wohlwollend, genügsam, hingebungsvoll bis zu Selbstaufgabe und zufrieden.

Tatsächlich ist das aber nicht nur sehr falsch, sondern auch diskriminierend. Zum einen gibt es sehr viele sehr wütende Mütter, die von der Politik vergessen und von der Bürokratie über den Tisch gezogen werden. Zum anderen sind Mütter schon lange nicht mehr nur weiblich oder befinden sich in einer Beziehung oder Ehe. Sie sind single, sie sind männlich, queer und trans. Sie sind nicht die biologische Mutter und sie haben auch nicht vor, hinter ihrer Rolle als Mutter zu verblassen. Sie sind Individuen, Menschen und sie sind bunt, vielseitig, nicht kategorisierbar und divers. Muttersein ist Feminismus. Weil der nicht die Frauen* in den Vordergrund, sondern alle in eine Reihe stellt. Mein latentes Unwohlsein beim Begreifen meines Mutterseins hat damit ganz viel zu tun. Das weiß ich, denn ich habe seit diesem unbehaglichen Aha-Moment viel darüber nachgedacht.

Ich hadere vor allem mit den Labels, die das Wort „Mutter“ automatisch mitliefert. Die brauchen dringend ein Update! Ich habe da auch schon ein paar Ideen: wir sind müde, wütende, egoistische, liebende, hingebungsvolle, genervte, ahnungslose, hoffnungsvolle, kümmernde, überforderte, unperfekte, organisierte, faule, lachende, arbeitende, daheim bleibende, wunderschöne Mütter.

Und auch ich bin eine Mutter, ja, auch, aber ich bin zuallererst mal Lisa mit einer Tochter namens Polly. Genau so möchte ich euch hier auch abholen. Als eigenständige Personen, keine Rollen. 

Mit meinen, mit unseren Artikeln, Beiträgen und auf dieser Platform hier möchten wir keinen Zeigefinger erheben, sondern diesen höchst verwirrenden und großartigen und anstrengenden Kraftmarsch des Mutterseins, wie auch immer das aussehen mag, mit euch gemeinsam gehen. Ganz ehrlich und ohne Romantisierung, schlechtem Gewissen oder Blatt vor dem Mund.

Geschrieben von

Lisa Trautman

Lisa Trautmann arbeitet als Modejournalistin und PR Managerin in Berlin. In ihrer journalistischen Tätigkeit widmet sie sich neben nachhaltiger Mode und Lifestyle mit Vorliebe gesellschaftspolitischen und soziokulturellen Themen; gerne kritisch, hinterfragend und oft mit einem Augenzwinkern. Auch feministische, popkulturelle, inklusive und diverse Inhalte finden in ihren Artikeln und Interviews mit Vorliebe Platz. Sie ist Mama von Polly & aktuell in ihrer zweiten Schwangerschaft. Bei uns findet ihr ehrliche Einblicke & Gedanken, wie es heutzutage ist, schwanger zu sein und wie sie sich dabei fühlt.