Habt ihr schon mal von „Maternal Gatekeeping“ gehört? Darunter versteht man Mütter, die sich so in ihre Care-Arbeit verbeißen, dass dem Vater weder Platz noch Kompetenz in dieser Beziehung zugestanden werden. Dass das ein sehr problematischer Begriff ist, der sich stark an heteronormativen Partnerschaften orientiert und Frauen dabei als bärbeißige Besserwisserinnen interpretiert, liegt auf der Hand. Heute möchte ich über eine andere Art von Türsteher-Verhalten ansprechen, das Mütter sehr oft an den Tag legen und das auch mich die ersten Monate nach der Geburt meiner Tochter im Griff hatte. Nur: Heute lassen wir alle Väter und sonstigen Partner*innen und weiteren Elternteile mal aussen vor und blicken in den Spiegel. Wir schauen uns in die Augen und rufen uns alle Situationen ins Gedächtnis, in denen wir als Mütter* uns selbst mit unserem Maternal Gatekeeping im Weg standen.
Meine Tochter ist inzwischen acht Monate alt und ich habe mir noch nicht mal einen Bruchteil von dem zurückerobert, was ich etwas dramatisch mein „altes Leben“ nenne. Klar, genau so wie es einmal war wird es ohnehin nie wieder. Das war unter anderem auch die Idee daran, ein Kind zu bekommen. Aber tatsächlich hatte ich den wilden Plan, mir wenigstens eine Handvoll meiner alten Hobbys und Leidenschaften erhalten zu können. Dazu gehören, unter anderem, eine regelmäßige Yogapraxis und Sportroutine, ein Kinobesuch hier und da, ein soziales Leben und generell einfach ein wenig Freiheit. Nix Wildes also, möchte man meinen. Doch ich bin grandios gescheitert. Wie viele Abende ich alleine zuhause saß, während das Kind schlief und der Rest der Welt, inklusive meines Partner, sich draußen amüsierten, kann ich schon nicht mehr sagen. Ich habe irgendwann aufgehört mitzuzählen. Nach einer ziemlich isolierten Schwangerschaft im Lockdown war es für mich umso bitterer auch den Sommer ab zirka 18 Uhr größtenteils alleine in den eigenen vier Wänden zu verbringen. Klar, wir haben unsere Tochter auch mal auf Geburtstag im Park mitgenommen und sind in Restaurants gegangen. Aber Yogastudio, Kneipe und ein großer Kinosaal sind eben keine Orte für Babys.
Drama, Tränen, Selbstmitleid. Das ganze Programm. Ich würde ja, aber ich kann nicht! Ich wünsche mir so, aber es geht nicht! Fassungslos schaute ich mir die Instagram-Storys von anderen Müttern an, denen ich folge. Sie geht aus? Wie macht sie das, ihr Baby ist doch gerade mal vier Monate alt und sie stillt? Und sie arbeitet morgens? Wie ist das möglich, ihre Tochter ist doch jetzt, wenn mich nicht alles täuscht, zwei Monate alt, was ist ihr Trick?
Versteht mich nicht falsch, ich rede hier absolut nicht von Mom Shaming, im Gegenteil. Ich war unfassbar neidisch, weil ich wollte das auch – Freund*innen treffen, mal ohne Baby unterwegs sein, nach 18 Uhr eine Bar betreten. Aber nein. Ich nörgelte mich so durch den Tag.
Und aus Tagen wurden Wochen, aus Wochen dann wirklich Monate. Bis meinem Partner der Kragen platze. Das Problem, sagte er mir eines Tages ziemlich ungefiltert auf den Kopf zu, das ist nicht unser Baby, das bist du. Mach es doch einfach mal! Er hatte recht.
Abgepumpte oder Pre-Milch füttern, das kann auch er. Nur habe ich nach dem ersten misslungenen Versuch direkt wieder aufgegeben. Morgens eine Yoga-Klasse besuchen? Alleine Spazierengehen? Auf der Couch sitzen und einfach mal die Wand anstarren? Möglich. Ich muss es einfach nur einplanen und meinen Freund bitten, diese zwei Stunden ohne mich zu überstehen (ein um Weiten weniger schwieriges Unterfangen, als ich es mir ausgemalt hatte). Insgeheim war das Problem die ganze Zeit nicht meine bedürftige Tochter, sondern ich, die ich nicht mal eine Minute loslassen konnte, obwohl ich mir nichts sehnlicher wünschte. Es ist wirklich paradox, aber ich glaube, dass dieses Gefühl, das Loslassenwollenabernichtloslassenkönnen, eine sehr passende Analogie des Elternseins ist.
Mir ist bewusst, dass ich das unfassbare Privileg eines Partners habe, der sich ohne Zögern sofort kümmert und als Freiberufler vor allem die Zeit dafür hat. Für viele sind auch kleine Pausen und Zeit zum Durchatmen schwerer zu realisieren. Ich möchte mit diesem Artikel daher auf keinen Fall sagen, dass man als Mutter* nur darüber hinwegkommen muss, sich selbst im Weg zu stehen und einfach mal Abpumpen und den Tag genießen soll. Ich möchte dazu ermutigen, dort, wo es möglich ist, mal egoistisch zu sein und nur an sich zu denken.
Sich nicht selbst als Gatekeeper*in im Weg zu stehen, hat auch viel damit zu tun, die Anforderungen der Gesellschaft einfach mal auszusperren. Eltern sind Menschen mit Bedürfnissen – und Raum zu schaffen (und seien es nur fünf Minuten) für ebendiese Bedürfnisse, ist so unfassbar wichtig. Das „alte Leben“ ist weg, da brauchen wir nicht drüber sprechen. Aber ein Leben mit Kind muss niemals in kompletter Selbstaufgabe münden. Ich kann keinen genauen Step-by-Step-Plan geben, wie ich mich selbst überwunden und wenigstens einige meiner alten Routinen wieder für mich zurückerobert habe. Es fing mit ein, zwei Stunden nach dem Aufstehen an, die ich für mich reklamierte. Morgens sind Babys auch oft am (ich nenne es mal) umgänglichsten, nicht wahr? Eine gute Zeit also, um sie dem*der Partner*in zu überlassen. Weiter ging es mit abendlichen Badewannen-Sessions. Einfach mal eine Stunde abschalten, während jemand anderes meine Tochter ins Bett bringt. Lustigerweise habe ich Baden vor der Geburt meiner Tochter gar nicht mal so gemocht. Inzwischen gibt es für mich kaum etwas entspannenderes. Dazu ein Podcast, ciao.
Das Zubettbringen war in unserem Fall dank abgepumpter oder Pre-Milch bald ein easy Job für meinen Freund, allerdings mit ein wenig Üben verbunden. Doch es hat sich gelohnt, hier am Ball zu bleiben und die Protestaktionen meiner Tochter auszusitzen.
Ich kann mir inzwischen den ganzen Tag bedenkenlos Termine legen, da ich weiß, dass meine Tochter auch beim Vater so zufrieden ist wie bei mir. Ein Thema übrigens, das meiner Recherche nach ohnehin eher Paare betrifft, in denen ein Elternteil stillt. Die Abendstunden sind noch oft Mami-Zeit. Vor allem, als meine Tochter zahnte und erkältet war. Das ist aber total in Ordnung, ich bin da sehr sehr gerne die tröstende Mama.
Ich hätte mich aber wirklich gerne eher getraut, wieder mehr für mich zu tun und mir diese Zeiten eingefordert. Ich habe nämlich eine ganze Weile sehr gehadert mit meiner neuen Rolle und war sehr unzufrieden. Bin es immer noch. Ungeduldig auch. Aber auf einem Weg, der mich wieder mehr in den Fokus rückt. Auch hätte ich mich über eine Community und eine Seite wie diese hier gefreut. Ein Ort, der mir sagt, dass es OK ist, wenn ich am liebsten mal die Koffer packen und drei Wochen nach Malle flüchten möchte. Allein. Ein Ort, an dem ich andere Eltern kennenlerne, die die gleichen, ähnliche oder auch ganz andere Struggles haben wie ich. Ein Besserfühlen-Ort, der nicht verurteilt. Denn das wollen wir mit unserer Community hier: Euch als Eltern einen Platz geben zum Austauschen, euch sagen, dass ihr das toll macht und dass es total okay ist, wenn man eben mal drei Wochen am liebsten flüchten und ausschlafen würde. Babybox ist euer Savespace – von Nörgeln bis Wellness. Wir holen euch ab.